02.03.2023
Offener Brief: Abschiebungen ins Erdbebengebiet aussetzen & Abschiebehaft beenden
Sehr geehrte Frau Aminata Touré, sehr geehrter Herr Christian Pegel, sehr geehrter Herr Andy Grote,
seit dem verheerenden Erdbeben am 6. Februar in Kurdistan, Nordsyrien und der Türkei ist die humanitäre Lage in der vom Erdbeben zerstörten Region nach wie vor katastrophal. Mehr als 40.000 Menschen haben bei der Katastrophe ihr Leben verloren und über 6 Millionen sind obdachlos geworden. Die Regionen werden weiterhin immer wieder von teils schweren Erdbeben erschüttert. Die Bundesinnenminsterin Nancy Faeser versprach am 11. Februar, dass Betroffenen mit Angehörigen in Deutschland eine unbürokratische Visavergabe sowie ein damit verbundener Aufenthalt von drei Monaten gewährt würde.
Gleichzeitig wurden am 20. und 21.02.23 drei Menschen vom Flughafen Hamburg in das Erdbebengebiet abgeschoben. In Glückstadt befinden sich zurzeit zwei weitere Menschen in Abschiebehaft, die in das Katastrophengebiet bzw. die Türkei abgeschoben werden sollen.
Von Seiten der Innenministerien wird argumentiert, dass zurzeit keine Abschiebungen ins Erdbebengebiet durchgeführt würden. Die betroffenen Menschen werden nach Istanbul abgeschoben, wo sie in den allermeisten Fällen keine Unterstützungsstrukturen haben. Denn diese befinden sich meistens dort, wo Familie und Freund*innen wohnen, was bei den Betroffenen in der Erdbebenregion ist. Es gibt in Istanbul und weiteren Städten gerade keinen verfügbaren Wohnraum, weil durch das Erdbeben über 6 Millionen Menschen obdachlos geworden sind und nach Wohnungen suchen. Ganz konkret bedeutet dies, dass Menschen, die willkürlich nach Istanbul abgeschoben werden, faktisch trotzdem ins Erdbebengebiet abgeschoben werden. Anstatt in Instabul obdachlos zu sein, wählen sie die einzige Option, die ihnen gezwungenermaßen bleibt: Im Erdbebengebiet bei ihnen Angehörigen obdachlos zu sein.
Dass einerseits Menschen durch ein erleichtertes Visumsverfahren die Einreise ermöglicht werden soll, andererseits aber in genau dieses Gebiet auch abgeschoben wird, ist schockierend. Die Bindung der Visa-Vergabe daran, Angehörige in Deutschland haben zu müssen, und das gleichzeitige Abschieben von Menschen aus Deutschland ins Erdbebengebiet verdeutlicht eine Doppelmoral, die wir angesichts der katastrophalen Lage vor Ort erschreckend und menschenverachtend finden. Aus diesem Grund bitten wir Sie, menschlich zu handeln!
Wir fordern Sie auf, sich für eine solidarische Aufnahme stark zu machen und gleichzeitig Menschen, die schon hier bei uns vor Ort sind, Sicherheit zu gewähren!
Wir fordern Sie auf, umgehend einen Abschiebestopp in das Erdbeben- und Katastrophengebiet zu veranlassen!
Zudem fordern wir Sie auf, Abschiebungen generell zu unterbinden, denn in jedem Fall sind sie die falsche Antwort auf globale Ungleichheitsverhältnisse.
Wir möchten im Zuge dessen erneut das Abschiebegefängnis in Glückstadt thematisieren, in dem die Menschen vor ihrer Abschiebung inhaftiert waren. Abschiebehaft bedeutet Freiheitsentzug, wie das Motto der Abschiebehaftanstalt in Glückstadt „Wohnen minus Freiheit“ bereits signalisiert. Menschen einzusperren, ohne dass sie auch nur eine Straftat begangen haben, widerspricht rechtsstaatlichen Prinzipien. Abschiebehaft ist keine Haft für eine Straftat, sondern eine Haft zur Durchführung einer Verwaltungsmaßnahme. Durch dieses Instrument erleiden Erwachsene sowie Kinder häufig (Re-)Traumatisierungen, wie wir in der Vergangenheit immer wieder beobachten konnten. Auch Kinder können in dieses Gefängnis bis zu 18 Monate eingesperrt werden. Abschiebehaft ist für alle Menschen grausam und sollte in einem demokratischen Land wie Deutschland im 21. Jahrhundert als ein rassistisches Konstrukt anerkannt und abgeschafft werden.
Wir fordern Sie daher auf, schnell zu handeln und die inhaftierten Menschen aus der Abschiebehaftanstalt in Glückstadt umgehend aus der Haft zu entlassen!
Außerdem fordern wir Sie auf, das Abschiebegefängnis in Glückstadt ersatzlos zu schließen!
Mit freundlichen Grüßen
Bündnis „Kein Abschiebegefängnis in Glückstadt und Anderswo!“