Abschiebegefängnis schließen – bevor die ersten Menschen sterben!
Wir waren heute sehr spontan vor dem Landtag in Kiel, wo der Innen- und Rechtsausschuss über die erschreckenden Geschehnisse im Abschiebegefängnis in Glückstadt in den letzten Wochen gesprochen hat. Vielen Dank an ca 35 Menschen, die so spontan gekommen sind und mit uns laut waren, die mit uns zusammen gezeigt haben, dass das Gefängnis schnellstmöglich geschlossen werden muss! Say it loud, say it clear – Refugees are welcome here!
Im Folgenden und in den Kommentaren findet ihr den Redebeitrag von heute.
Moin!
Wir haben uns heute sehr spontan hier vorm Landtag versammelt, weil drinnen gleich um 14:00 Uhr der Innen- und Rechtsausschuss der Landesregierung tagen wird. In dieser Sitzung wird es auch um das Abschiebegefängnis in Glückstadt gehen und um die aktuelle Situation vor Ort.
Wir sind hier, weil wir deutlich machen wollen, dass die Abschiebehaft sofort geschlossen werden muss! Die Zustände vor Ort sind katastrophal, die inhaftierten Menschen verzweifeln.
Am 05. Januar gab es in der Hafteinrichtung in Glückstadt einen Brand. Ein gerade einmal 22 Jahre alter Inhaftierter hatte sich in der Nacht selbst verletzt indem er sich Schnittwunden zufügte und sämtliche brennbare Gegenstände in seiner Zelle in Brand steckte und damit versuchte, sich selbst zu töten. Als er aus dem Zimmer geholt wurde, war er bewusstlos und wurde ins Krankenhaus eingeliefert, der Brand daraufhin gelöscht. Die Haftleitung leugnete den Suizidversuch, ließ den jungen Mann entgegen ärztlichem Rat in der Psychatrie nicht stationär aufnehmen, da eine solche Behandlung nicht notwendig sei. Wieder in Glückstadt angekommen wurde der 22 Jährige in eine Isolationszelle, den sogenannten ‚besonders gesicherten Haftraum‘ gebracht. ‚Besonders sicher‘ heißt in diesem Fall besonders überwacht, denn in der Decke des Raumes befindet sich eine Kamera, auf die 24/7 die Blicke der Wärter*innen fallen, ansonsten nicht viel mehr als eine Matratze und ein im Boden eingelassenes Klo.
Tageslicht gibt es in dieser Art von Zelle nicht. Es gibt sicher einige Maßnahmen, die einer akut suizidgefährdeten Person Sicherheit vermitteln, das was im Abschiebegefängnis in Glückstadt mit den Menschen in solch einem Fall gemacht wird trägt sicher nicht dazu bei. Im Gegenteil, wird es den Stress und den Druck auf die Psyche der Menschen eher noch erhöhen, ihre Angst und Verzweiflung eher noch stärken. Die Notärzt*innen im Gefängnis tragen diese unfassbare und menschenunwürdige Handhabung einfach so mit. Sie erkennen in ihrem Bericht zu diesem Fall zwar an, dass eine solche Unterbringung eine „besondere Belastung der Seele bedeutet“, aber halten die Maßnahme trotzdem für geeignet.
In den folgenden Tagen verweigert der Betroffene das Essen, bei seiner Abschiebung leistet er weiter Wiederstand, verletzt sich erneut selbst und hinterlässt eine Blutspur in Flugzeug. Anstatt ihn ernst zu nehmen, wird ihm starkes Beruhigungsmittel gegen seinen Willen gespritzt, die Abschiebung nur abgebrochen, weil der Pilot ihn nicht mitnehmen will.
Vergangenen Sonntag hat es erneut in Glückstadt gebrannt und auch die starken Selbstverletzungen und das Verweigern der Nahrungsaufnahme sind kein Einzelfall! Vielmehr berichten so gut wie alle der Inhaftierten, mit denen wir als Kampagne oder andere solidarische Strukturen in Kontakt sind von einer schier unfassbaren Verzweiflung, die dazu führt, dass es schon einige Hungerstreiks und Selbsttötungsversuche im Gefängnis gab.
Oft sind die Menschen viele Wochen, mehrere Monate im Gefängnis eingesperrt. Nicht selten kommt die Inhaftierung für sie zudem völlig unvermittelt. Alexander zum Beispiel ist in Deutschland geboren, wurde plötzlich bei einer ganz normalen Kontrolle auf der Straße in Hamburg festgenommen – und dann nach Glückstadt ins Abschiebegefängnis gebracht, von wo aus er nun abgeschoben werden soll. Ustarz war aus eigenem Interesse zur Ausländerbehörde gekommen, wollte sich über die Möglichkeiten des sogenannten Chancenaufenthaltsrechts informieren. Er wurde bei seinem Termin festgenommen und nach Glückstadt gebracht. Die Menschen haben keine Chance, noch einmal in ihre Wohnung zurückzukehren und ihre Kleidung, Wertgegenstände, Fotos – alles was ihnen wichtig ist einzupacken, sie werden einfach mitgenommen und inhaftiert. Die einzige Möglichkeit für sie, ihre Familie oder Freund*innen noch einmal zu sehen, die eventuell auch aus ihrer Wohnung noch Gegenstände holen und ihnen mitbringen können, ist der Besuchsraum.
Die Inhaftierten in Glückstadt haben das Recht darauf, täglich besucht zu werden. Zumindest von vergangenem Sonntag wissen wir, dass es ihnen verwehrt wurde.
Die Besucher*innen wurden an der Pforte abgewiesen, weil die Sicherheit und Ordnung im Gefängnis bei einem Besuch nicht gewährleistet werden könne, da nicht genügen Personal vor Ort sei.
Stellt euch vor, ihr kommt aus Greifswald und euer Vater oder eure Schwester oder eure Partner*in oder euer Kind wird plötzlich auf dem Rückweg von der Arbeit bei einer Kontrolle am Bahnhof inhaftiert und nach Glückstadt gebracht. Stellt euch vor, ihr könnt zwar mit ihnen telefonieren, aber keine Bilder schicken, denn Smartphones dürfen die Inhaftierten seit kurzem nicht mehr haben. Stattdessen werden ihnen alte Tastentelefone ausgehändigt, mit denen mühsam sms geschrieben werden können. Es gibt zwar vier Laptops, auf denen ein Videocall gemacht werden kann, aber da es viel zu wenige Laptops sind und alle diese einzige Chance nutzen wollen, ins internet zu gehen und zu videocallen, sind sie ständig besetzt. Wenn wenn sie doch mal einen Platz ergattern und ihr zufällig auch gerade Zeit habt, nicht arbeiten oder in der Schule sitzen müsst, trauen sie sich nicht offen mit euch, zu sprechen, denn die anderen drei Laptops sind direkt neben ihnen im Tisch befestigt und die anderen drei Leute hören alles mit, was sie sagen. Es geht der Inhaftierten Person, der ihr nahe steht schlecht und ihr möchtet sie besuchen, vielleicht ein letztes mal bevor sie abgeschoben wird. Ob und wann genau wisst ihr nicht, denn ihr kennt euch mit Recht nicht aus und habt nicht so viel Geld, einen Pflichtverteidiger, also eine Anwältin die euch unterstützt gibt es nicht und wann jemand abgeschoben wird, bekommt die betroffene Person im Zweifel eh erst eine halbe Stunde vor Abfahrt zum Flughafen mitgeteilt.
Es wird also Sonntag, der einzige Tag in der Woche, in der ihr Zeit für eine so weite Reise habt und ihr schafft es, trotz Verspätungen und viel Umsteigen mit dem Zug von Greifswald in einigen Stunden nach Glückstadt. Ihr kommt zum Gefängnis – und werdet abgewiesen, müsst der Inhaftierten Person, die ihr besuchen wolltet per Telefon mitteilen, dass ihr wieder umkehren musstet.
Das ist vielleicht ein sehr emotionales Beispiel – aber eben genauso fühlt es sich für die Inhaftierten und ihre Angehörigen an. Irgendwann ist es so weit, ich drehe durch – sagen Inhaftierte immer wieder, zuletzt zum Beispiel Hamza, der ebenfalls nach 15 Jahren in Deutschland abgeschoben werden soll und nun schon viele Wochen in Haft sitzt. Seit vielen Wochen jeden Tag fremdbestimmt begeht, morgens früh geweckt wird, zur Lebenskontrolle. Nicht selbst entscheiden kann, was er isst. Wann und was und wie er kocht. Wann er mit wem abhängt – unbeobachtet schonmal gar nicht. „Die geben dir das Essen durch sone Klappe in der Tür, du fühlst dich, als ob du ein Tier bist“ sagt er.
Mit ‚Wohnen Minus Freiheit‘, dem offiziellen Motto der Abschiebehaft in Glückstadt jedenfalls hat das ganze überhaupt nichts zu tun. Und es passt auch kein bisschen in die Inszenierung der regierenden Parteien als Verfechter*innen der Rechte von Geflüchteten gegenüber der AFD, wie es in den letzten Wochen auf Großdemonstrationen gegen Rechts so viel geschehen ist. Wem Menschenleben wirklich nicht egal sind, wer sich für eine Zitat der Grünen „menschenrechtsbasierte Flüchtlings- und Integrationspolitik“ einsetzen will – der muss sich für die Schließung des Abschiebegefängnisses in Glückstadt und für die Schließung von allen Abschiebegefängnissen einsetzen!
Wir fordern, dass die lauten Stimmen aus dem Knast endlich ernstgenommen und angehört werden und dass daraus auch Taten folgen – bevor es die ersten Toten gibt. Danke.